Der Kreuzbrunnen in Draßburg/Rasporak

04.06.2010

Karl Kaus, 02.04.2008.

Ein heiliger Brunnen der Kroaten





Heute fließt bestes Trinkwasser bequem in jedem Haus aus der Wasserleitung. Früher wurde Grundwasser aus Brunnenschächten gepumpt, mühsam mit Eimern heraufgekurbelt, oder Quellwasser aus Röhren aufgefangen oder aus Überlaufbecken geschöpft. Wohlschmeckendes kühles Trinkwasser aus guten Quellen wurde oft aus einer Entfernung von vielen hundert Metern ins Haus und auf das Feld geholt.



Dorfbrunnen waren ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt, hatten einen großen Vorplatz, waren oft aufwendig überbaut, mit christlichen Symbolen geschmückt und mit Sitzgelegenheiten ausgestattet.



Ein solches Kommunikationszentrum war der an der Straße nach Baumgarten/Pajngrt gelegene Kreuzbrunnen in Draßburg/Rasporak. Wann er gebaut wurde und wer ihn errichtet hat, ist nicht überliefert. Er gehörte aber im 19. Jahrhundert zu den interessantesten Quellfassungen und Brunnenbauwerken in ganz Westungarn. Sogar der aus dem norddeutschen Bremen stammende Reiseschriftsteller Johann Georg Kohl berichtete im Jahr 1842 über die „heilige Quelle“ in Draßburg:



Bei Draßburg, einem Dorfe, das den Zichys gehört und zum Theil von Kroaten bewohnt ist, fand ich viele kroatische Mädchen um eine heilige Quelle versammelt. Ein Ecce homo in steinernem Kasten stand über dieser Quelle ganz in Staub und Spinneweben eingesponnen. Das Wasser kam unter dem Bilde hervor. Die Mädchen waren unermüdlich im Wasserschöpfen und trugen es in irdenen Krügen von dannen. „Warum drängt Ihr Euch denn so? Ist denn das Wasser so gut?“ fragte ich sie. „Wohl, wohl ist’s gut“, antworteten sie, „es fließt ja vom Herr Gott abe“ – Alle diese Kroatinnen, die festlich geschmückt waren, verstanden auch deutsch. Es waren wohl 30-40 Menschen versammelt, die das Wasser schöpften und tranken. Ein hübsches kroatisches Mädchen reichte mir ihren Krug zum Trinken. Mir ging aber dabei zum allgemeinen Amüsement ein Wasserstrahl in den Busen, denn ich kannte die Einrichtung der ungarischen Krüge noch nicht, bei denen allen sich in der Nähe des Henkels ein kleines verrätherisches Luftloch befindet, das man beim Trinken zuhalten muß, wenn man nicht innen und außen zugleich naß werden will, wie ich es wurde. „Willst Du denn nicht auch trinken?“ fragte ich meinen Kutscher Andres. „Kiß die Hand!“ sagte er, „i trink lieber an Wein!“ (1)



Der norddeutsche Reisende war – zum Unterschied von seinem Kutscher – von den Vorgängen bei dem Draßburger Brunnen offensichtlich fasziniert und konnte nicht umhin, selbst das gute Wasser zu kosten, das ihm eine zarte Hand in einem ortsüblichen Steingut- oder Keramikkrug reichte. Der enghalsige „ungarische Wasserkrug“ (ungarisch vizes korsó, kroatisch krigli, mozana, putra, vrč, deutsch Plutzer) hat zumeist im hohlen Henkel oder am Hals eine weitere Öffnung, damit beim Füllen die Luft besser und schneller entweichen kann. Der Krug läuft so schneller voll, beim Trinken muss man natürlich eines der beiden Löcher zuhalten. Die in lokalen Töpferwerkstätten erzeugten Wasserkrüge wurden mit relativ niedriger Temperatur gebrannt. Dadurch erfolgte keine Versinterung des Tons und die Gefäßwand blieb porös. Das Wasser im Krug konnte durch die Wand langsam verdunsten. Durch die Verdunstungskälte blieb der Inhalt kühl.


Am 2. März 1850 besuchte auch der berühmte Ödenburger Künstler Franz Storno der Ältere den Kreuzbrunnen in Draßburg und fertigte eine gelungene Skizze an. Der in Eisenstadt 1821 geborene Franz Storno wurde 1848 durch Einheirat in einen Witwenbetrieb als Rauchfangkehrermeister Bürger der königlichen Freistadt Ödenburg-Sopron. Durch seine künstlerische Begabung und Ausbildung erlangte er bald überregionale Bedeutung als Architekturzeichner und Kirchenrestaurator. Auch der Bauplan der Friedhofskapelle in Draßburg stammt von ihm.



Die von Franz Storno angefertigte Tuschezeichnung des Kreuzbrunnens ist in seinem Skizzenbuch Nr.14 auf Seite 93 erhalten geblieben. Der Brunnen auf der Skizze entspricht genau der Beschreibung von Johann Georg Kohl. Der Quellaustritt mit dem Brunnenbecken lag im Hang, war zum Schutz vor Verunreinigungen und zur Kühlung des Wassers überdeckt und nur durch ein Gitterfenster sichtbar. Die Brunnenröhre, aus der das gute und heilige Wasser floss, war links und rechts von schrägen Mauerflanken geschützt. Die Christusstatue stand in einem kleinen tabernakelartigen Kasten auf dem Brunnenhaus.(3)


Der Brunnen lag an der seit dem Mittelalter wichtigen Verbindungsstraße von Ödenburg über Baumgarten – Draßburg – Zemendorf – Krensdorf und Pöttsching nach Wiener Neustadt. Die Trasse dieser Straße führte von Baumgarten steil bergab ins Ortszentrum von Draßburg und von dort wieder steil bergauf Richtung Zemendorf. Für schwer beladene Pferdefuhrwerke war daher Vorspann erforderlich. Die Draßburger Bauern hatten mit der Bereitstellung ihrer Zugpferde ein gutes zusätzliches Einkommen. Der Kreuzbrunnen hatte so bis zur Eröffnung der Eisenbahnlinien (Südbahn Wiener Neustadt – Ödenburg 1847 und Raaberbahn Ödenburg – Ebenfurth 1879) als Wasserstelle an der Wiener Neustädter Straße (ungarisch Ujhelyi ut; kroatisch Novomestna ciesta) eine wichtige Funktion. Solche Quellen erklärte man früher häufig zu „heiligen Brunnen“. Aus Ehrfurcht mussten das Wasser und der Brunnenvorplatz sauber gehalten werden. Auch besondere Heilwirkungen oder andere wichtige Eigenschaften wurden dem Trinkwasser zugeschrieben.

Die Beliebtheit des Wassers aus dem Draßburger Kreuzbrunnen scheint, wie Kohl 1842 beschreibt, vielleicht darauf beruht zu haben, dass bei jungen kroatischen Mädchen die Hoffnung ausgelöst wurde, mit dem Trunk rasch Liebe, Heirat und Kindersegen zu erlangen.

Noch vor 1900 wurde der Brunnen, vermutlich mit Unterstützung des neuen Draßburger Schlossbesitzers und Zuckerfabrikanten Konrad Patzenhofer, zu einem Brunnenhaus in Form einer kleinen Kapelle in Stein-Ziegel Mischmauerwerk umgebaut. Die Christusstatue wurde auf den Dachgiebel gesetzt. Das Wasser floss nun im Innern der Kapelle aus dem Maul eines metallenen Löwenkopfes. An der Wand darüber befand sich ein Bild mit einem Kreuz. Daher kommt auch der Name des Bauwerks: „Kreuzbrunnen“.



Bis nach dem Zweiten Weltkrieg diente der Brunnen noch als beliebte Wasserstelle. Mit Errichtung der Ortswasserleitung verlor der Kreuzbrunnen aber endgültig seine Jahrhunderte alte Funktion.



Der Kreuzbrunnen fiel um 1964 dem Straßenbau und der Errichtung einer Betonstützmauer zum Opfer. Die Brunnenkapelle wurde, obwohl unter Denkmalschutz stehend, rasch und vollständig abgetragen. Derzeit fließt das Wasser – von den vielen schnell vorbeifahrenden Autofahrern unbemerkt – in einer unscheinbaren Nische in der Betonwand aus einer Röhre direkt in den Kanal. Die Draßburger Mädchen kennen heute den Brunnen kaum und trinken anscheinend auch sein anregendes Wasser nicht mehr.(4)



(1) Felix Tobler, Die Kroaten im Bezirk Mattersburg. Eisenstadt 1994, S.53 f.

(2) Franz Simon, Bäuerliche Bauten und Geräte – Südburgenland und Grenzgebiete. Oberschützen 1981, S.403.

(3) Karl Kaus, Franz Storno der Ältere in Baumgarten, Drassburg und Schattendorf. In: Aus der Pforte, 4.Jg., Ausgabe 6, Schattendorf 2007, S.43.

(4) Im Jahr 1961, als der Kreuzbrunnen noch in überlieferter Form bestand und sein Wasser auch von jungen Mädchen getrunken wurde, hatte die Gemeinde Draßburg 1.291 Einwohner, im Jahr 2001 wurden nur mehr 1.133 Einwohner gezählt.